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Im Profil: Petra Renner

Seit über 40 Jahren arbeitet Petra Renner auf dem Wichernhof Dehmen. Nun, kurz vor dem Ruhestand, erzählt die langjährige, mittlerweile ehemalige Pflegedienstleiterin und zweite Einrichtungsleiterin im Interview von ihren Anfängen, ihrer persönlichen Entwicklung und den Entwicklungen in der Behindertenhilfe.

14.05.2025
Stefanie Daug
Petra Renner, ehemalige Pflegedienstleitung und zweite Einrichtungsleitung auf dem Wichernhof Dehmen
Petra Renner Foto: Jörn Lehmann

Frau Renner, wenn Sie sich selbst porträtieren sollten, wie würden Sie das tun?
Ich bin 62 Jahre alt und verbringe gern Zeit mit Familie und Freunden. Wir reden über Dinge, die uns bewegen wie z.B. Familie, Politik, Bücher, Reisen, was gibt es Neues und was für Veränderungen stehen an. Wir machen Ausflüge oder sitzen gerne zusammen und spielen Karten oder andere Gesellschaftsspiele. Ich bin gern auch nur für mich, lese, interessiere mich für Geschichte, gehe gerne ins Museum, reise gern oder schaue auch mal nonstop eine Serie. Gern bin ich in der Natur unterwegs, gehe spazieren und liebe es Pilze zu sammeln. Seit einigen Jahren lerne ich an der Volkshochschule Englisch.

Was war für Sie persönlich der Grund in der Behindertenhilfe zu arbeiten?
Das war gar nicht geplant. Ich hatte zu Beginn der Achtziger Jahre im Güstrower Krankenhaus meine Ausbildung zur Krankenschwester gemacht und früh geheiratet. Mein Mann bekam eine Wohnung in Dehmen, weil er auf dem Domgut arbeitete. Wir waren glücklich, eine Wohnung zu haben, das war in DDR-Zeiten alles andere als selbstverständlich. Eigentlich wäre ich gerne im Krankenhaus geblieben, aber es war naheliegend in Dehmen zu arbeiten, da wir noch kein Auto hatten und ich nicht hätte in Schichten arbeiten können. Und so startete ich im September 1981 auf dem Wichernhof Dehmen in mein Berufsleben.

Was ist Ihnen aus der ersten Zeit in Erinnerung?
Ich war 19 Jahre, als ich auf dem Wichernhof anfing. Die Menschen, die hier lebten, waren so alt wie ich. Das war schon etwas Besonderes. Ich hatte überhaupt keine Erfahrung mit geistig behinderten Menschen, aber auch keine Berührungsängste. Alle lebten zusammen wie in einer riesengroßen Familie. Es wurde zusammen gegessen, zusammen spazieren gegangen, zusammen gespielt, zusammen verreist. Was mich geschockt hat, war die Arbeit mit Fixierungen. Einige schliefen in Betten, die rundherum mit Gittern abgeschirmt waren, andere trugen Tag und Nacht Boxhandschuhe. Es war nicht so, dass man diesen Jugendlichen schaden wollte, sondern sie vielmehr schützen, damit sie sich nicht selbst, möglicherweise sogar tödlich, verletzen. Zugleich ist der Wichernhof von Anfang an immer eine Einrichtung für mich gewesen, in der Mitarbeiter den Bewohnern menschliche Wärme schenken und versuchen, ihnen Familie zu sein und ein Zuhause zu gestalten.

Sie sind dann recht schnell in verantwortliche Positionen gekommen …
Ja. In den Achtziger Jahren waren wir drei pflegerische und einige pädagogische Fachkräfte. Hinzu kamen Mitarbeiter, die in der DDR als Außenseiter galten, wie Ausreisewillige oder Alkoholiker, die keinerlei Qualifizierung hatten. Da ich Fachkraft war, hat es nicht lange gedauert, dass ich Verantwortung bekam. Im Prinzip habe ich auf dem Wichernhof eine klassische Karriere gemacht – von der Fachkraft über die stellvertretende Wohnbereichsleitung und die Wohnbereichsleitung bis hin zur Stellvertretenden Pflegedienstleitung, ab 2013 Pflegedienstleitung und ab 2017 zweite Einrichtungsleitung zusammen mit Herrn Kozik und später mit Herrn Schmitz.

Wenn Sie die Behindertenhilfe zu Ihren Anfängen mit heute vergleichen, wie fällt der Vergleich aus?
Es ist sehr viel passiert und ganz viel Positives und Schönes. Mit der UN-Behindertenrechtskonvention, neuen Gesetzen und Standards, wie dem Bundesteilhabegesetz, spielten Themen wie Gleichstellung, Barrierefreiheit, Teilhabe und Selbstbestimmung eine immer größere Rolle. Wir sind sehr bemüht, nicht für die hier lebenden Menschen zu bestimmen und zu entscheiden, was richtig und gut ist, sondern sie bestimmen möglichst allein, was sie wirklich wollen und das ist natürlich in einer institutionellen Einrichtung wie unserer mit vielen Mitarbeitern nicht immer einfach. Ich sehe immer noch vor mir, wie es damals war: Jeder hat zum Abendbrot zwei Scheiben Brot bekommen, eine Scheibe Wurst, eine Scheibe Käse. Bohnenkaffee nur sonntags. Egal, ob jemand mehr oder weniger essen oder jeden Tag Kaffee trinken wollte, solche Fragen standen gar nicht im Raum und für uns war das damals ganz normal. Diesen Zustand haben alle Mitarbeiter und Verantwortlichen Schritt für Schritt geändert. Ich fand immer toll, dass wir engagierte Mitarbeiter haben, die sich Gedanken machen und Veränderungen mitgegangen sind, auch wenn es manchmal schwerfällt. 

Was muss sich weiter verändern?
Die Behindertenhilfe hat sich sehr zu ihrem Vorteil verändert. Mit den neuen Gesetzen steht der Mensch mit seinen Bedürfnissen im Mittelpunkt. Die Umsetzung ist eine andere Frage, denn alles kostet viel Geld. Es sollte aber keine Kostenfrage sein, die Rechte von Menschen mit Behinderung umzusetzen. Und es sollte selbstverständlich werden, dass das Leben von Menschen mit Behinderung genauso läuft wie für andere Menschen auch. Eigene Wohnung statt Wohnen in Gemeinschaftseinrichtungen. Ich finde es nicht schön, dass Arbeit fast nur in Werkstätten/Tagesstätten möglich ist, um nur zwei Beispiele zu nennen. 

Nun haben Sie zum 31. März als Pflegedienstleitung und Einrichtungsleitung aufgehört, den Ruhestand vor Augen…. 
Ja, der erste Schritt in Richtung Ruhestand ist, dass ich die Leitungspositionen an Frau Manske abgegeben habe. Ich finde es total schön, dass ich die Möglichkeit hatte, sie in den vergangenen Monaten einzuarbeiten. Ich habe das Gefühl, dass sie gemeinsam mit Herrn Schmitz und Herrn Kozik ein gutes Team bildet, das offen für Weiterentwicklung ist. An manchen Tagen finde ich es sehr richtig, die Verantwortung abgegeben zu haben, gerade wenn es stressig ist und Veränderungen Schlag auf Schlag passieren. An anderen Tagen denke ich, ich wäre gerne noch dabei. Aber, ich habe fast immer voll gearbeitet und freue mich auf mehr Freizeit. 

Sie sind aber weiterhin auf dem Wichernhof da.
Ich bin nach wie vor für unsere Auszubildenden da und mache die Praxisanleitung. Außerdem begleite ich unsere ersten indischen Mitarbeiter, die seit März auf dem Wichernhof arbeiten. Ich helfe ihnen mit Praxisanleitung, zeige die deutschen Standards, bereite sie auf die Pflegeprüfungen vor, die sie ablegen müssen, obwohl sie in ihrem Heimatland Pflegefachkräfte sind und eine medizinische Ausbildung haben. Ich habe meine Arbeitszeit deutlich verkürzt und arbeite auf jeden Fall noch dieses Jahr. Ehrlich gesagt, habe ich noch keinen Gedanken an Ruhestand ohne Arbeit.

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