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Als wir erfuhren, dass die ersten beiden Bewerberinnen bald auf dem Weg zu uns sein werden, fieberten wir dem Datum entgegen. Kurz vorher schalteten wir uns mit ihnen und weiteren Bewerbern in einer Videokonferenz zusammen. Dann war es so weit. Herr Kozik und ich machten uns auf den Weg nach Berlin zum Flughafen, um die Inderinnen zu empfangen. Nach längerer Wartezeit und mehreren Vermutungen, ob sie es sein könnten, kamen sie in die Wartehalle und wir erkannten uns sofort. Gemeinsam fuhren wir nach Güstrow und schon während der Fahrt genossen beide die Blicke in unsere schöne Natur. Wir brachten sie in ihre Wohnung und führten die ersten Absprachen für die nächsten Tage.
Bereicherung für alle
Wie lösen wir den Fachkräftebedarf in der Pflege? Der Wichernhof geht neue Wege und beschäftigt die ersten indischen Mitarbeiter. Benjamin Schmitz berichtet von diesem vielschichtigen Prozess.

Der allgemeine Fachkraft-/Arbeitskraftmangel ist schon einige Zeit präsent. So präsent, dass man es teilweise weder hören noch sagen mag. Die Schuld immer nur der Politik zuzuweisen, nutzt der aktuellen und zukünftigen Situation wenig. Auch wissen wir, dass das Arbeitsfeld Behindertenhilfe im Rahmen von Pflegeberufen „unter dem Radar“ läuft und auch die Abgeschiedenheit des Wichernhofes Dehmen durch mangelhafte Infrastruktur nicht besonders attraktiv für Arbeitskräfte ist.
Wir sind bereit uns dieser Herausforderung zu stellen.
Bereits im Jahr 2023 stiegen wir in das Projekt „Triple Win“ der Arbeitsagentur ein, begleitet von unserer Recruiterin Katja Voeske. Mit „Triple Win“ geben wir ausländischen Fachkräften die Möglichkeit, bei uns zu arbeiten und zu leben. Die Fachkräfte erhalten eine gute Bezahlung, unsere Teams erhalten Unterstützung und Bereicherung und unsere Kunden erfahren durch mehr gut ausgebildetes Pflegepersonal mehr Qualität. Also eine Win-Win-Win-Situation.
Vorbereitung im Heimatland
Die Bewerber für „Triple Win“ erwerben in ihrem Heimatland deutsche Sprachkenntnisse. In unserem Fall sind es Bewerber aus Indien, genauer Kerala. Dort gibt es viele Fachkräfte im Gesundheitswesen, aber nur geringe Beschäftigungsmöglichkeiten. Meist sind es Krankenpfleger, Hebammen oder OP-Assistenten. Diese Menschen haben häufig Familien, feste Partner oder Freundschaften und wählen dennoch den Weg der Auslandsarbeit. Sie kündigen ihren Job und bereiten sich intensiv auf das Arbeiten in dem gewünschten Land vor.
Bei unseren Bewerbern war es Deutschland. Kerala selbst ist ein modernes Bundesland in Indien und die Arbeitskräfte, die dort ausgebildet werden, sind viel mehr als das es Einsatzgebiete für sie gibt. Viele wissen schon zu Beginn ihrer Ausbildung, dass sie später im Ausland arbeiten werden. Für uns war es anfangs oft schwer nachvollziehbar, was diesen Menschen Halt gibt und mit welcher Haltung sie diesen neuen Weg gehen. Diese Form von Arbeit und Leben passt nicht in unsere mitteleuropäische Vorstellung.
Bewerbungsgespräche
Nach Absprachen mit den Triple-Win-Begleitern in Kerala führten wir die ersten Bewerbungsgespräche. Online und unterstützt von einem Dolmetscher, da die Sprachkenntnisse der Bewerber noch nicht all zu gut ausgeprägt und wir mit unserer norddeutschen Redensart sicher nicht so gut zu verstehen waren. Dennoch gelang es uns, im Dialog etwas von den Bewerbern zu erfahren und auch etwas von uns und unserer Arbeit zu vermitteln. Parallel begann bereits die Suche nach geeignetem Wohnraum. Fragen zur Kultur, Religion und zum Geschlechterverständnis konnten im Bewerbungsgespräch teils geklärt werden. Dabei kam schon einmal die erste Überraschung, denn diese Punkte waren gar nicht so relevant, wie wir oft vermuten.
Wohnungssuche
So konnten wir bei der Wohnraumsuche auf WG-taugliche Wohnungen setzen. Was sich nicht leicht gestaltete, da es nicht einfach ist, bezahlbare Wohnungen zu finden und einige Vermieter Skepsis gegenüber ausländischen Arbeitskräften zeigten. Dennoch gelang es uns, Wohnungen zu mieten, die dank des DSG Gebäudemanagement schön ausgestattet und von der DSG Reinigung schön vorbereitet wurden.
Willkommenskultur schaffen
Weitere Aspekte mussten wir in der Vorbereitung beachten:
- Wie kommen die ausländischen Mitarbeitenden zur Dienststelle?
- Welche zukünftigen Kollegen sind bereit, eine Art Patenschaft zu übernehmen, um das Ankommen zu erleichtern und Halt in der neuen Umgebung zu geben?
- Welche Haltung haben die Kollegen zu diesem neuen Weg?
- In welchem Ausmaß ist die Mitarbeitervertretung eingebunden?
All diese Fragen können bis dato nur teilweise und häufig ergebnisoffen beantwortet werden. Uns ist es aber wichtig, diesen Menschen bei uns eine gute Anstellung mit adäquaten Arbeitsbedingungen, ein neues Zuhause und ein neues Netzwerk zu bieten. Dies können wir nur gemeinsam und angebotsübergreifend schaffen. Hierzu zählt das Einbinden in die gängigen Verfahren bei Arbeitsantritt in der Einarbeitung, Teilnahme an den Mitarbeitereinführungstagen, gemeinsame Weihnachtsfeiern und Mitarbeiterfeste.
Und vielleicht ergibt sich über das Arbeitsmaß hinaus auch eine Freundschaft oder Bekanntschaft, die allen Beteiligten Halt gibt und zugleich die Haltung Menschen für Menschen, die wir als Diakonie Güstrow repräsentieren wollen, zeigt.
Ankommen am Arbeitsplatz
Am ersten Arbeitstag zeigte ich unseren neuen Mitarbeiterinnen den Wichernhof und stellte sie den Kollegen vor. Schnell kam es zum Kontakt untereinander, und die beiden konnten ihr erlerntes Deutsch auf die Probe stellen. Im Ausnahmefall half auch Englisch. Ganz selbstverständlich nahmen unsere Kollegen vor Ort die Neuen im Team auf.
Der zusätzliche Deutsch-Sprachkurs hat begonnen und beide arbeiten mittlerweile tageweise im Wohngruppengeschehen mit. Dabei zeigte sich, wie verschieden die Schwerpunkte der Pflege-Ausbildung in Deutschland und in Indien sind. Wo bei uns Wert auf die Grundpflege, Behandlungspflege und Krankenbeobachtung gelegt wird, ist es in Indien eher der Schwerpunkt Krankenbehandlung, Behandlungspflege, ggf. auch Geburtshilfe oder OP-Begleitung. Das Einsatzfeld ist eher der Klinikbetrieb. Pflegeeinrichtungen sind in Indien rar, da dort pflegebedürftige Menschen selbstverständlich von der Familie betreut und gepflegt werden. Wobei sich dort die Familie nicht nur auf die Kernfamilie (Mutter, Vater, Kind) bezieht, sondern alle Verwandten umfasst.
Dennoch zeigen die beiden neuen Kolleginnen keine Berührungsängste und äußern auch den Wunsch, sich im Rahmen der Grundpflege mehr Wissen und Techniken zuzulegen.
Ich bin froh, dass die Bewerber so gut aufgenommen wurden, es auch schon neben der Arbeit private Treffen gab und sich Kontakte ergeben.
Und nun?
Wir freuen uns schon auf die nächsten Bewerber und hoffen, damit nicht nur den eingangs erwähnten Fachkräftemangel zu kompensieren, sondern auch unsere Teams in der Behindertenhilfe vielfältig und weltoffener zu zeigen.