Dem Menschen ein Nächster sein - 35 Jahre Diakonie Güstrow
Andacht von Landespastor Paul Philipps, Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werkes Mecklenburg-Vorpommern

Liebe Leserinnen und Leser!
Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam des Weges; und als er den unter die Räuber Gefallenen sah, jammerte es ihn; und er ging zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn.
(Lk 10,33-34)
Mit diesen Worten beginnt die Geschichte vom „Barmherzigen Samariter“, wie sie in der Bibel im Lukasevangelium steht. In der Diakonie wird diese Geschichte immer wieder erzählt. Sie ist so etwas wie unsere Leit-Geschichte. Über die Jahrhunderte hinweg hat sie zu jeder Zeit den Fokus von Menschen in Kirche und Diakonie neu ausgerichtet auf das, was zu tun ist. Oder wie es in einer anderen biblischen Geschichte heißt: auf das, was not ist.
Der Samariter sieht den Verletzten und weiß, was zu tun ist. Diese Eingangsszene ist für mich die Schlüsselszene: Weil der Samariter die Situation erkennt; weil er spürt, dass er hier als Mensch gefragt ist; weil er Verantwortung übernimmt.
Als nach der friedlichen Revolution 1989 auch in Güstrow und Umgebung die soziale Landschaft neu zu ordnen war, haben Christenmenschen im Geiste dieser Geschichte gehandelt. Während sich das staatliche System der DDR auflöste, haben sie Verantwortung übernommen für die Menschen, die auch unter neuen Vorzeichen auf Unterstützung angewiesen waren. Unter dem Dach des neu gegründeten Diakonievereins Güstrow haben sie die bisherige kirchlich-diakonische Arbeit in Güstrow fortgeführt; andere bestehende soziale Dienste übernommen und weitere diakonische Angebote aufgebaut.
Heute präsentiert sich der Diakonie Güstrow e.V. als ein modernes, diakonisches Unternehmen mit rund 1100 Mitarbeitenden in der ganzen Breite diakonischer Handlungsfelder. Vieles hat sich inzwischen verändert in unserem Verständnis davon, was ein angemessener Umgang mit den Hilfebedarfen der Menschen ist. Eines ist geblieben: die Verankerung in der biblischen Botschaft von der Liebe Gottes zu allen Menschen. Und die Überzeugung, dass es auch heute noch unser Auftrag ist, in meinem Gegenüber diesen von Gott geliebten Menschen zu sehen – und danach zu handeln.
Dabei hat die Geschichte vom Barmherzigen Samariter am Ende für uns alle noch eine besondere Pointe. Im Zusammenhang gelesen, ist sie ein Gleichnis, mit dem Jesus Antwort gibt auf eine zuvor an ihn gestellte Frage: die Frage nach dem Sinn des Lebens. Dafür gibt uns der Barmherzige Samariter mit seiner Haltung ein Beispiel. Denn noch ehe das Gleichnis uns sagt, was zu tun ist, sagt es uns, wer wir sind: Menschen, dem anderen als Nächster zur Seite gestellt.
Diakonische Arbeit ist Dienst am Nächsten. Sie ist aber zugleich Ausdruck sinnvollen Lebens, weil wir uns in dieser Arbeit unserer eigenen Bedeutung als Menschen vergewissern können, Teil von etwas Größerem zu sein: der Geschichte von Gottes Hinwendung zum Menschen.
Ich gratuliere dem Diakonie Güstrow e.V. zu seinem 35-jährigen Jubiläum, danke allen Mitarbeitenden von Herzen für ihren wichtigen Dienst und wünsche für die weitere Arbeit der Diakonie Güstrow Gottes Segen.
Ihr Landespastor Paul Philipps


